Die Gypsy Swing Jam Session

Manche Zuschauer bei einer Gypsy Jazz Jam Session wundern sich, wie Musiker, die sich nie vorher gesehen haben, miteinander so tolle Musik machen können, die wie aus einem Guss und jahrelang einstudiert klingt. Natürlich kennen die Musiker die Lieder (Standards) anhand von Leadsheets, Grilles und Aufnahmen und sie kennen die Struktur, wie ein Song im allgemeinen aufgebaut ist.

Ohne eine Regelung des Ablaufs würde an einem Jam Chaos entstehen und die Musik würde ungeniessbar, für die Zuschauer wie auch für die Musiker.

Ablauf und Regeln an einer Jam Session

Die hier vorgestellten Regeln sind nicht in Stein gemeiselt. Sie beruhen auf Beobachtungen und der natürlichen Hierarchie. Es sind Vorschläge, die das Gelingen einer Jam Session ermöglichen sollen.

Ablauf

Vorteilhaft ist immer eine Liste dabei zu haben mit all den Songs, von denen du mindestens den Rhythmus auswendig spielen kannst. Beim anschauen dieser Setlisten findet man schnell einen passenden Song heraus, den die meisten Musiker am Jam spielen können. Besser wäre noch, du hast die Grilles von den Songs mit dabei.

Derjenige, der das Thema spielt, macht vorzugsweise auch das Intro, sofern er eines kennt. Er ist dann der Leader dieses Songs.
Mit dem Intro gibt er auch gleich das Songtempo an. Ein Intro muss klar sein und rhythmisch korrekt auf die Eins des Songs hinführen.

Nach dem Thema spielt (der gleiche) Musiker sein Solo über so viele Chorusse (ein ganzer Durchgang des Liedes), wie er ein gutes Solo spielen vermag.
Ca. 4 Takte vor dem Beenden seines Solos gibt der Solist das Solo weiter, durch einen Blickkontakt zum nächsten Musiker in der Runde. Falls dieser jedoch nicht solieren will, gibt er das Solo mittels Blickkontakt an einen anderen Musiker weiter.

So kommt jeder Musiker dran mit Solieren.

Man könnte die Reihenfolge der Solos auch vor dem Beginn des Songs ausmachen.

Meistens hat oder übernimmt jemand an der Jam Session die Führung und verteilt die Solos im Voraus oder delegiert z.B. durch Blickkontakt und Kopfnicken die Solos gleich während des Spielens.
An einer Bandprobe wäre dies automatisch der Bandleader. An einer Jam Session ist es vermutlich Derjenige, der die meisten Themen spielen kann.

Sind alle Musiker durch mit Solieren (den Bassisten nicht vergessen), dann spielt der erste Musiker wieder das Thema zum Abschliessen des Songs.

Dieser Themaspieler ist auch verantwortlich für einen guten Schluss und hat das letzte Wort.
Meistens ist es eine spritzige Linie über die allerletzten zwei oder vier Takte.
Das finden und spielen eines guten Schlusses ist nicht ganz einfach und wird vielleicht deshalb von Anfängern, aber auch Fortgeschrittenen häufig vernachlässigt.

Manchmal wird eine Solistische Einlage vor dem letzten Thema eingebaut, bei der die Solisten ihre Solos nur jeweils vier Takte lang anspielen, in der gleichen Reihenfolge wie vorhin im Song. Diese Einlage wird mit dem Ansagen von "Four Four" durch den Song Leader (oder Jam Session Leader) eingeleitet.

Musikalisches

Für das Gelingen einer Jam Session ist eine geregelte Lautstärke mitverantwortlich. Spielen mehrere Gitarristen gleichzeitig den Rhythmus, so sollten sie auf zwei Dinge besonders achten:
- den Schlag auf den Punkt zu spielen und
- dass die Rhythmustruppe den Solisten satt unterstützt, aber nicht unterdrückt.
Hat man einen soliden Bassisten in der Truppe, so sollte man sich rhythmisch nach ihm richten.

Es spielt auch eine Rolle, wo man sitzt. Bei einem Jam unter Freunden sitzt man am besten im Kreis. Blickkontakt ist wichtig.
Versucht auch mal die Bestuhlung nebeneinander im Halbmond wie auf einer Bühne aus. Es macht einen grossen Unterschied, wer links und wer rechts von dir sitzt. Die Gitarre zu deiner Linken wird laut sein und die Gitarre zur Rechten wirst du kaum hören können.
Pobiert unterschiedliche Sitzordnungen aus. Es lohnt sich.

Selbstverständlich ist es wichtig, als Rhythmusspieler immer sauber im Takt zu bleiben. Es kann doch immer mal vorkommen, dass man ein Blackout hat und rausfällt. Dann ist es aber wichtig, dass man den Rhythmus weiter spürt und schlägt, während man dem richtigen Akkord sucht.

Die Wahrheit wird ans Licht kommen

An einer Jam Session kommt immer die Wahrheit ans Licht, nämlich ob du tatsächlich das Thema sauber spielen kannst, ob die Arpeggios, die du eine ganze Woche lang geübt hast, locker aus dem Ärmel schütteln kannst und ob du die gelernten Licks auch immer schön ins Solo einbauen kannst.
Manchmal werden die Songs auch schneller als im Original gespielt.
Wenn du aus lauter Nervosität den Song zu schnell eingezählt hast und nun das Thema, das du im Originaltempo vielleicht grad noch so hinkriegst, in erhöhtem Tempo spielen musst, dann darfst du versuchen etwas hinzuzaubern. Dann steigt das Adrenalin.

Deshalb sei vorbereitet

Zuerst solltest du den Rhythmus beherrschen. Wenn du die Lieder auswendig kannst, um so besser. Kenne die gängigsten Standards und jene, die in deiner Jam Session Umgebung am häufigsten gespielt werden.
Eine Jam Session macht vor allem dann Spass, wenn du über möglichst viele Songs solieren kannst. Dazu sollten die Basis Arpeggios und Tonleitern ins Repertoire gepackt werden.

Basis Arpeggios (in allen Tonarten!)

- Dur (1-3-5)
- Major 6 (1-3-5-6)
- Moll (1-b3-5)
- m6 (1-b3-5-6)
- Dominant 7 (1-3-5-7)
- Diminished 7 (1-b3-b5-bb7)

Basis Tonleitern (in allen Tonarten!)

- Dur Ionisch
- Harmonisch Moll


Ein bisschen Harmonielehre kann auch nicht schaden.
Das eine oder andere Lick solltest du kennen und wissen, über welchen Akkord es funktioniert.

Es kann von Nachteil sein, wenn man ein Django-Solo Note für Note auswendig lernt, ohne das harmonische Akkordverhältnis zu kennen. Falls es an einer Jam Session mal schneller zu und her geht, als im gewohnten Tempo, dann kann es schnell passieren, dass man aus dem Solo rausfliegt und dann nicht mehr weiter weiss. Oder es kommt noch schlimmer und der Solist vor dir spielt das Original-Solo von Django schon im Voraus (und vielleicht noch flüssiger). Ein Solo zu repetieren ist irgendwie uncool und somit sollte ein fundiertes Wissen der Akkordfolge und Harmonie die Grundvoraussetzung sein. Nur dann kannst du dich frei bewegen und deinem Feeling Raum schaffen.
Wer das auswendigspielen eines Django-Solos berherrscht, ist zwar noch lange kein richtiger Solist, aber wenigstens hat er schon mal die Grundtechnik und Phrasierung intus.

Ein Solo solltest du über mindestens zwei Chorusse aufbauen können. Es wäre schade, wenn man im ersten Durchgang gut was hinzaubert, aber im zweiten Chorus das Solo allmählich an Schwung und Frische verlieren würde. Manchmal spornen die Mitmusiker zu einem weiteren Solochorus an und dann sollte man immer noch ein paar gute Licks und viel Elan in Reserve haben.

Ich wünsche euch viel Spass bei eurer nächsten Jam Session

Christian Ruh